Zuwanderung aus der Innenstadt – Spandau doch kein In-Bezirk?

Vertreter von Wohnungsbaugesellschaften sehen keine Verdrängung in unseren Bezirk

Im Staakener Kulturzentrum „Gemischtes“ gab es letztens eine Diskussionsveranstaltung zum Thema “Zuwanderung aus der Innenstadt – Bezirk im Wandel”, in der ein Versuch unternommen wurde, Belege für Wanderungsbewegungen zu finden und Wege aufzuzeigen, wie man eine „gesunde“ soziale Bewohner-Mischung erreichen könne.
SPD und GAL hatten dazu Vertreter der großen Wohnungsunternehmen eingeladen. Der Einladung folgten Herr Krämer von der Gagfah und Herr Burucker von der GSW.

Spandau, neuer "In-Bezirk" in Berlin?

Es ist noch gar nicht lange her, da ging es durch einige Medien. Spandau wäre demnach der neue "In-Bezirk" in Berlin, da er eine besonders hohe Zuwanderung zu verzeichnen hat. Um wen es sich bei den Neu-Spandauer handeln sollte, wurde nicht immer genannt.

In der BZ vom 4. Februar 2012 stand noch: „Nach Spandau ziehen wegen der preiswerten Mieten viele Studenten“, sagt eine Sprecherin vom Statistischen Landesamt.“
Sollte diese Aussage zutreffen, würden sich sicherlich einige Kieze in Spandau freuen, die unter Überalterung leiden und jungen Zuzug wünaschen, damit "Leben ins Geschehen kommt".

Aber, kann von „In-Bezirk“ noch die Rede sein, wenn es sich dabei um ALGII-Leistungsempfänger handelt? In veröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit war von 700 neuen Bedarfsgemeinschaften (im Zeitraum von Juli 2010 bis Juli 2011) die Rede. Später machte eine Zahl von 750 die Runde.
Die Mieten in einigen Gebieten Spandaus sind berlinweit ungeschlagen günstig. Eine Kaltmiete von 4,55 Euro wird nur noch in ganz wenigen anderen Bezirken, wie etwa Marzahn und Hellersdorf unterboten. Natürlich gilt diese Aussage nicht für den gesamten Bezirk. Schaut man sich aber Problemkieze, wie etwa Heerstraße Nord an, in dem bis vor einiger Zeit noch ein Leerstand von rund 10 Prozent herrschte, dann ist dieser auf durchschnittliche 3 bis 4 Prozent gesunken. Dieser Wert liegt im Bereich der normalen Mieterbewegung.

Spandaus ehemaliger Finanzstadtrat Martin Matz (SPD) stellte während seiner Amtszeit fest: „Es wird immer noch bestritten, dass es den Druck auf Niedrigverdienerhaushalte durch Gentrifizierung überhaupt gibt. Mittlerweile spüren wir aber, dass dieses Phänomen weitere sozial schwache Haushalte in die Großsiedlungen Spandaus treibt.“

Zwei Tendenzen stehen außer Frage. Die Mieten in den Innenbezirken Berlins steigen erheblich. Diese Mieten können sich viele nicht mehr leisten, also suchen sie Wohnungen dort, wo sie die Miete noch bezahlen können. Gentrefizierung ist das unschöne Schlagwort für eine soziale Entmischung von Stadtteilen oder Wohnlagen. Ferner steigt die Zahl der ALGII-Empfänger, die wegen ihrer hohen Miete die Aufforderung von den Jobcentern bekommen, etwas gegen die höheren Kosten zu unternehmen. Im Extremfall bedeutet dies der Zwang zum Umzug.

Kleine Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach und Katrin Lompscher (LINKE)

Erzwungene Wohnungsumzüge in Berlin für ALG-II-Beziehende (Drucksache 17/ 10 149)
Frage: Wie viele Umzüge haben 2009, 2010 und 2011 stattgefunden und wie viele Bedarfsgemeinschaften haben mit dem Umzug das Job-Center gewechselt (bitte nach Job-Center aufschlüsseln)?

Antwort: Die Angaben zu 2009 beruhen auf statistischen Meldungen der Jobcenter, die Angaben für 2010 und 2011 stammen aus dem Controlling zur AV-Wohnen. In wie vielen Fällen der Umzug über die Bezirksgrenzen hinaus stattfand und damit das zuständige Jobcenter wechselte, wird nicht erfasst.
 

                           2009      2010      2011

Spandau              11          95          366

Gesamt-Berlin    428        1.195     1.313

Noch ein paar Zahlen

(Quelle: Statistisches Landesamt Berlin-Brandenburg)

Bevölkerung in Spandau jeweils am Jahresende

  • 1981: 195.618
  • 1987: 201.915
  • 1990: 222.527
  • 2008: 223.813 —> + 1286 mehr Einwohner
  • 2009: 223.724 —> – 89 weniger Einwohner
  • 2010: 226.240 —> + 2.515 mehr Einwohner
  • 228.651 (30. Nov. 2011) —> + 2.411 mehr Einwohner

Es lässt sich also neutral feststellen, im Zuwachs der Bevölkerungszahl gibt es erhebliche Schwankungen in den letzten vier beobachteten Jahren. 2010 und 2011 scheint ein kontinuierlicher Anstieg zu erfolgen. Diese absoluten Zahlen geben grundsätzlich keine Auskunft darüber, was sich dahinter verbirgt.

Umzugs-Wanderungen 2010 von und nach Spandau

  • Zuzüge insgesamt: 15.296
  • Fortzüge insgesamt: 12.232
  • Differenz: 3.064

Ergänzung: Das Durchschnittsalter in Spandau erhöht sich seit einigen Jahren. Es sterben insgesamt mehr Menschen im Bezirk, als geboren werden. Die Zunahme der Bevölkerung erfolgt also eindeutig durch Zuzug.
Stellt man aber die genannte Zahl von 750 neuen Bedarfsgemeinschaften ins Verhältnis, dann wären dies immerhin rund 25 Prozent der Zugereisten, wenn man nur die absolute Differenz der Zahlen betrachtet. Setzt man aber die 15.296 als Basis ein, dann sind es nur noch 5 %. Über den Rest kann kaum eine Aussage gemacht werden.

Gentrifizierung in Spandau scheint kein Thema für die Wohnungsbaugesellschaften zu sein

In Spandau wurden in den 60er Jahren des 20ten Jahrhunderts Wohnsiedlungen an der Heerstraße und im Falkenhagener Feld errichtet, um preiswerten Wohnraum zu schaffen. Die durchschnittlich gut verdienenden Mieter der ersten Jahre sind zum größeren Teil verstorben oder weg gezogen. Vor einigen Jahren war dort ein merkbarer Wohnungsleerstand von bis zu 10 Prozent zu bemerken. Dies hat sich inzwischen deutlich verändert. Spandaus preiswerter Wohnraum wird anscheinend berlinweit nachgefragt.

Auf die Frage an die beiden Vertreter der Wohnungsgesellschaften, ob sie einen verstärkten Zuzug von Geringverdienern oder gar Hartz-IV-Empfängern verzeichnen würden, kam eine überraschende Antwort. Nach ihren Erkenntnissen wäre dies nicht so. Es gäbe keine Belege dafür.

Dafür wurden einleuchtende Gründe präsentiert. Solche Daten werden schlichtweg nicht erfasst. Weder werden sie erfragt, noch würden die Mieter dies in der Regel angeben. Da der größte Teil sein Geld vom Jobcenter direkt bekommt und davon die Miete bestreitet, ist dieses Argument durchaus schlüssig.

Den Wohnungsgesellschaften wurde ferner vorgeworfen, eine Vermietungsstrategie betrieben zu haben, die sich bewusst an eine „geringverdienende“ Klientel richte. ALGII-Empfänger wären eine „sichere Bank“ für Vermieter, aus diesem Grund hätten sie diese Jahrelang bevorzugt als Mieter genommen. Dies und eine schlechte Pflege des Wohnungsbestandes würden eine zunehmende „Verslummung“ der Siedlungen bewirken. Wer kann, zieht von dort weg.

Die Vertreter der privatisierten Wohnungsgesellschaften wiesen diesen Vorwurf mit einer schlichten betriebswirtschaftlichen Begründung zurück. Sie sehen die Vermietung von Wohnungen in Großsiedlungen als ein Produkt, welches durch eine bewusste „Verarmung“ der Mieterschaft wirtschaftlichen Schaden nehmen würde.
So sehen sie eine „gesunde“ soziale Mischung an Mietern mit unterschiedlichem Einkommen und unterschiedlicher Herkunft als wichtig und notwendig an. Hier wünschten sie sich eher eine großzügigere Regelung bei den vorhandenen Einschränkungen. Eine freiere Vergabe von Wohnraum ohne die Grenzen, die ein notweniger Wohnungsberechtigungsschein setze, würde nach ihrer Ansicht einer positiven Entwicklung förderlich sein.

Den Wunsch der Politik, neuen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, verwiesen Herr Krämer von der Gagfah und Herr Burucker von der GSW an andere Wohnungsunternehmen. Sie selbst wären inzwischen reine Vermieter. Bauen wäre derzeit kein Teil ihrer Firmenpolitik.
Bürgermeister Kleebank und Raed Salehh wünschten sich, die Wohnungsgesellschaften würden eine größere Verantwortung für "ihren Kiez" übernehmen. Diesem Wunsch wollten die beiden Vertreter der Wohnungsgesellschaften nicht entsprechen. Sie sahen dies eher als Aufgabe der Politik.

Schnelle und einfache Lösungen der Probleme in den Großsiedlungen sind auch in nächster Zeit nicht zu erwarten. Eine engere Zusammenarbeit von Wohnungsgesellschaften, Politik und Institutionen, wie das Quartiersmanagement, ist in näherer Zukunft unbedingt anzustreben.

Die Arbeit des Quartiersmanagements in den jeweiligen Gebieten, bleibt auch in Zukunft von großer Bedeutung. Kürzungen im Bereich „Soziale Stadt“ sind da nicht besonders förderlich. Alle Menschen in der Umgebung zu erreichen, ist ein schwieriges und langwieriges Unterfangen.
Angebote alleine nützen nichts. Sie müssen auch genutzt werden. Das Kulturzentrum „Gemischtes“, würde sich eine durchaus höhere Nutzung der bestehenden guten Angebote wünschen …