Interview mit Stadtentwicklungssenator Michael Müller zum Programm “Soziale Stadt”

Michael Müller, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt und seine Haltung zu dem Programm „Soziale Stadt“

Nach den massiven Kürzungen, die der Bund und CSU-Verkehrsminister Ramsauer 2010 beschlossen haben, ist die Zukunft des Programms “Soziale Stadt” alles andere als gesichert. Nach dem teilweisen Rückzug des Bundes aus der Finanzierung hat der Berliner Senat beschlossen, die fehlenden Bundesmittel durch Landesmittel zu ersetzen.

Bertram von Boxberg und Heide Rienits vom Quartiersrat des Quartiersmanagements Schöneberger Norden haben den Senator getroffen und mit ihm für die Quartiers-Zeitung „Schöneberger Morgen“ über seine Haltung zu dem Programm „Soziale Stadt“ gesprochen.

SchöMo:

Herr Senator Müller, welchen Stellenwert hat für Sie als Senator das Programm „Soziale Stadt“ und die damit verbundene Arbeit in den Quartieren?

Michael Müller:

Einen großen. Wir haben positive Entwicklungen durch diese Programme, durch das Quartiersmanagement, die Aktionsräume, und durch das viele bürgerschaftliche Engagement. Aber in einer Großstadt wie Berlin mit seiner sozialen Struktur kann man nicht sagen, jetzt ist es gut. Wir dürfen nicht nachlassen, sondern wollen möglichst dauerhaft solche Entwicklungen unterstützen und finanzieren. Das ist nicht leicht bei den finanziellen Voraussetzungen, die wir haben. Aber es ist nötig und es hat für mich einen hohen politischen Stellenwert.

SchöMo:

Wird es das Programm „Soziale Stadt“ in Berlin auch nach 2013/14 noch weiterhin geben?

Michael Müller:

Davon gehe ich aus. Das könnte dann vielleicht anders heißen. Aber dass wir Mittel dafür zur Verfügung stellen auch in den nächsten Haushaltsjahren, dass wir sie verstetigen und deutlich machen, wir wollen uns auch finanziell engagieren in den Quartieren, da bin ich sicher. Diese Programme leisten wertvolle Arbeit für unser Zusammenleben. Wir dürfen da nicht nachlassen in Berlin.

SchöMo:

Nun hat aber die Bundesregierung 2010 dem Programm „Soziale Stadt“ die Bundesmittel massiv gekürzt.

Michael Müller:

Wir bedauern insgesamt in der Koalition, was sich da auf der Bundesebene tut. Es hat unter Schwarz-Gelb einen deutlichen Meinungsumschwung hin zu einer Kürzungspolitik in diesem Bereich gegeben. Insofern bin ich froh, dass es jetzt gelungen ist, die Programme in der rot-schwarzen Koalition abzusichern und entsprechend mit Landesmitteln gegenzufinanzieren. Das ist natürlich für uns eine finanzielle Kraftanstrengung. Aber sie ist politisch nötig, weil bedauerlicherweise in der Bundesregierung diesem Thema keine Priorität eingeräumt wird; und das halte ich gerade für die Städte für einen großen Fehler.

SchöMo:

Jetzt koalieren Sie in Berlin mit der CDU, die auf der Bundesebene dafür mitverantwortlich dafür ist, dass bei diesen Programmen massiv die Mittel gekürzt wurden. Wie kann das funktionieren?

Michael Müller:

Natürlich diskutieren wir das mit dem jetzigen Koalitionspartner. Es hat in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle gespielt, genauso wie jetzt in den Haushaltsberatungen, wie wir solche Programme finanzieren. Die Berliner CDU blockiert das nicht, sondern macht diesen Weg auch frei, den wir in Berlin gehen. Ich hoffe sehr, dass sie auch auf Bundesebene möglichst für ein Umdenken ihrer Mutterpartei sorgen.

SchöMo:

Welche Themen halten Sie innerhalb des Programms „Soziale Stadt“ für besonders wichtig und notwendig?

Michael Müller:

Wenn ich eine soziale Situation insbesondere für Kinder und Jugendliche verändern will, wenn ich etwas ganz Besonders für Kinder mit Migrationshintergrund tun will, dann muss es über die Eltern laufen. Wir können sehr viel mit dem Programm machen, wir können sehr viel über Schule machen, wir können sehr viel über Geld machen. Aber irgendwann kommen Sie an einen Punkt am Nachmittag oder am Abend, wo jede Sozialarbeit und jede schulische Betreuung beendet ist und wo die Eltern es unterstützen müssen. Deshalb halte ich das für eines der ganz wichtigen herausragenden Themen, die Eltern mit in die Kinder- und Jugendarbeit einzubeziehen.

SchöMo:

Minister Ramsauer möchte, dass  die Bundesmittel für Stadtentwicklung eher für reine Bauprojekte eingesetzt  werden. Soziokulturelle Projekte dagegen möchte er eher weniger fördern.

Michael Müller:

Baupolitik kann ja auch Sozialpolitik sein. Man kann ein Quartier oder ein Wohnumfeld durch bauliche Maßnahmen so verändern, z.B. durch ein verändertes Sicherheitsgefühl, dass man dadurch auch eine andere Sozialstruktur in die Quartiere bekommt. Insofern will ich Minister Ramsauer dafür gar nicht mal schelten, dass er sagt, die Programme sollten dafür auch zur Verfügung stehen. Baupolitik spielt unter diesen Gesichtspunkten auch eine Rolle. Was ich für falsch halte, wäre ein gegeneinander Ausspielen: Wir fahren die Sozialarbeit zurück und gehen dann ausschließlich in Baupolitik. Beides als ergänzende Elemente zu sehen, dass muss kein Fehler sein.

SchöMo:

Die Hauptaufgabe in der Arbeit der Quartiersmanagements besteht darin, dass bestimmte Gebiete voran gebracht wird sollen, dass sie attraktiver werden. Liegt darin aber nicht auch eine Gefahr? Denn wenn dieses Ziel erreicht ist, steigen die Mieten, die Gefahr besteht, dass Menschen dann aus diesen Gebieten verdrängt wird. Stichwort „Gentrifizierung“.

Michael Müller:

Man arbeitet für eine positive Entwicklung, will ein Quartier stabilisieren und letztlich eine soziale Durchmischung erhalten. Wir freuen uns also über Zuzug von Menschen, die Arbeit haben, besser verdienen, die sich im Kiez engagieren, und die ihre Kinder im Quartier zur Schule schicken. Alles das gehört mit dazu, wenn wir ein Quartier stabilisieren wollen. Das dann ausschließlich als eine Tendenz zu beschreiben, die zu verurteilen ist, das finde ich nicht ganz richtig. Gerade das ist ja wirklich nötig, wenn wir in Berlin überall auf diese soziale Durchmischung achten wollen. Und ich glaube, wir haben immer noch so viel bezahlbaren Wohnraum, dass wir doch allen auch das Passende bieten können.

SchöMo:

Sie setzen auf „soziale Durchmischung“. Wie aber können Sie verhindern, dass Menschen an den Stadtrand ziehen müssen, weil sie sich die Mieten in den Innenstadtbezirken nicht mehr leisten können?

Michael Müller:

Diese Tendenzen des Verdrängens an den Stadtrand zeigen sich momentan nicht. Und was hieße bei uns in Berlin denn Stadtrand? Wenn man es so formuliert, hat jeder gleich die seelenlosen Metropole vor Augen, wo Bettenburgen außen vor der Stadt Menschen aufnehmen, die in der Stadt keinen Wohnraum mehr finden.

Bei uns würde es bedeuten, dass man in den Nachbarbezirk zieht. Wer von Friedrichshain wegzieht, der zieht nach Steglitz, oder nach Tempelhof oder nach Lichtenberg, und hat die komplette Infrastruktur mit Gesundheitsquartieren, mit Schulen, mit Kitas, mit Arbeitsplätzen, mit Geschäftsstraßen usw.. Insofern haben wir durch unsere Bezirksstruktur in Berlin eine deutlich andere Situation als in anderen Städten.

SchöMo:

Ein ganz wichtiges Thema im letzten Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl war die Mietenpolitik. Welche Bedeutung haben die landeseigenen Wohnungsunternehmen, wie Degewo oder Gewobag, wenn es darum geht, die enormen Mietsteigerungen in Berlin in den Griff zu bekommen?

Michael Müller:

Sie haben eine große Bedeutung! Sie sind ein wichtiges Instrument für uns in Berlin. Wir sind im Moment mit den Wohnungsbaugesellschaften in Verhandlung, wie sie zu einer neuen differenzierten Mietkalkulation kommen sollen. Außerdem handeln wir mit ihnen aus, wie wir sie beim Wohnungsneubau unterstützen können: Mit einer neuen Liegenschaftspolitik sollen sie günstiger oder sogar kostenlos an Grundstücke kommen. So können sie entsprechend billiger bauen und dann auch günstigere Mieten anbieten.

SchöMo:

Und ganz konkret: Würde der Senator die landeseigenen Wohnungsgesellschaften verpflichten, bei den Mietsteigerungen moderat zu sein?

Michael Müller:

Ja, darum geht es jetzt in unseren Gesprächen. Die Wohnungsbaugesellschaften sollen eben nicht mehr pauschal nach einem zulässigen Zeitraum in der zulässigen Höhe die Mieten für alle Mieterinnen und Mieter einer Gesellschaft erhöhen. Sondern wir wollen, dass sie genauer hingucken.

Natürlich muss eine Wohnungsbaugesellschaft auch wirtschaftlich arbeiten können, also auch die Chance haben, in Beständen, wo sie eine entsprechende soziale Struktur hat, die Mieten nach Mietspiegel zu erhöhen.

Aber die Gesellschaften sollen in Zukunft eben genau schauen, wem kann sie wie viel auch abverlangen. Und da, wo die Grenzen der Belastbarkeit für Mieterinnen und Mieter erreicht sind, muss es individuell Gespräche geben, ob man nicht vielleicht auch auf Mieterhöhungen verzichtet. Denn wir wollen diese soziale Durchmischung in einem Quartier: Menschen, die eine höhere Miete zahlen können, andere Menschen, die es nicht können – und trotzdem wohnt man zusammen.

SchöMo:

Ein ganz wichtiger Bestandteil des Programms „Soziale Stadt“ ist ja die Bürgerbeteiligung, die durch die Arbeit der Quartiersräte sichergestellt wird. Wie bewerten Sie deren Arbeit?

Michael Müller:

Wir haben über das Quartiersmanagement und die Quartiersbeiräte eine Organisation geschaffen, die sich ganz handfest mit einer Situation vor Ort in einem Quartier auseinander setzt. Sie können an Lösungsvorschlägen arbeitet, die die Bürgerinnen und Bürger mit einbeziehen. Ich finde, das ist ein guter und erfolgreicher Ansatz.

SchöMo:

Wie möchten Sie die Arbeit der Quartiersräte als Senator unterstützen?

Michael Müller:

Das Wichtige ist, eine gute Vernetzung untereinander sicher zu stellen, aber auch zwischen Quartieren, Bezirken und Land. So können wir miteinander und voneinander lernen und schaffen einen direkten Austausch zwischen den Ebenen. Die ungünstigste Situation wäre doch, dass die Quartiere und Bezirke für sich arbeiten, während die Landesebene etwas ganz anderes beschließt.

SchöMo:

Wo sehen Sie die Grenzen für diese Art von Bürgerbeteiligung, wie sie durch die Quartiersräte praktiziert wird?

Michael Müller:

Bürgerbeteiligung und Partizipation sind für mich ein ganz wichtiges, Instrument. Die Beteiligung sollte allerdings immer eine Ergänzung sein zur parlamentarischen Demokratie und nicht diese ersetzen.

Das Parlament sichert ja auch einen Kompromiss zu und den Ausgleich von Interessen. Das tun auch die Bezirksverordneten in der Bezirksverordnetenversammlung. Dieses System möchte ich nicht aushebeln über neue Strukturen.

Ich finde das also gut, dass die Bürgerinnen und Bürger die Arbeit der Parlamente ergänzen, zum Beispiel mit einem Bürgerhaushalt. Es gibt inzwischen auch die Bürgerfragestunden, was in meiner BVV-Zeit noch weit entfernt war. Inzwischen gibt es viele Möglichkeiten und ich finde es gut.

SchöMo:

Herr Senator Müller, wir danken Ihnen für das Gespräch.

  • Text: Bertram von Boxberg
  • Infos zum Quartiersmanagement Schöneberger Norden