Pfarrer i. R. Augustat über die schmerzhafte Teilung Spandaus und Berlins
Nach der Luftbrücke beim ersten Erzählcafé in der Spandauer Jeremia-Gemeinde wurde am 20. April ein weiteres einschneidendes Ereignis aus der nahen Vergangenheit zum lebendigen Thema. Für viele dürfte der Bau der Mauer, die Teilung Deutschlands, Berlins und auch Spandaus einzig ein fernes Ereignis sein, mit dem man sich nur noch in Geschichtsbüchern beschäftigt. Dies vor allem vor dem Hintergrund, das selbst der Mauerfall für die Jungen unter uns in eine kaum mehr greifbare Vergangenheit zurück reicht.
Es gibt nur noch wenige Spuren, die auf die in der DRR-Propaganda als „Antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnete Mauer hindeuten. In Spandau steht am Glienicker See ein Stück der Mauer und in Niederneuendorf, nahe der Bürgerablage, ragt noch ein Grenzturm in die Höhe, heute ein Museum für die Radler am Ufer der Havel.
Der ehemalige Pfarrer der St. Nikolai-Kirche in der Spandauer Altstadt, Winfried Augustat berichtete sehr emotional aus den Tagen vor und nach dem Mauerbau. Bei der Vielzahl von historischen Details ging manchmal ein wenig der Spandau-Bezug verloren. Höchst lebendig wurde der Vortrag, wenn Pfarrer Augustat von seiner eigenen politisch bewegten Vergangenheit berichtete, als er z. B. aus Protest über den Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn 1956 mit anderen demonstrierenden Berlinern einfach mal durchs Brandenburger Tor marschieren wollte – mit möglicherweise dramatischen Folgen. Willi Brandt, damals kurz vor seiner Wahl zum Berliner Bürgermeister, verstand es, in einer spontanen Rede, die aufgeregte Menge zu überzeugen, dies nicht zu tun.
Von vielen Spandauern inzwischen vergessen, teilte die Mauer nicht nur Berlin. Auch Spandau war geteilt. Weil Briten und Sowjets sich den Zugang zu ihren jeweiligen Flughäfen Gatow und Staaken sichern wollten tauschte man mal so einfach ein paar Stückchen aus den jeweiligen Besatzungszonen.
Weststaaken ging so am 31. August 1945 an die DDR. Dafür bekam Spandau den Seeburger Zipfel, ein Stück Land, welches über die Rieselfelder bis an der Weinmeisterhöhe fast an die Havel heranreichte. Ein winzig schmaler Streifen, etwa der Weg der heute an der Marina Lanke Werft vorbei führt, hätte den Zugang für die Briten zu ihrem Flughafen ermöglicht.
Kurioserweise konnten die Bewohner West-Staakens noch am 3. Dezember 1950 an den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus teilnehmen. Zwei Monate später war es mit der engen Nähe zum Rest Spandaus vorbei. Am 1.Februar 1951 besetze die DDR-Volkspolizei West-Staaken. Einige Zeit noch wurde das ehemalige Spandauer Gebiet von Ost-Berlin aus regiert. Erst am 1. Juni ging die Verwaltung auf die Gemeinde Falkensee über.
Während einerseits ein reger Berufspendelverkehr zwischen den Sektoren existierte und auch die kulturellen Einrichtungen beiderseits genutzt wurden, zog es Heerscharen von Menschen damals tagtäglich endgültig in den „Westen“. Die am 7.10.1949 gegründete DDR blutete aus, sie verlor einen großen Teil ihrer gut ausgebildeten Bewohner.
Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten
Beteuerungen des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, auf einer internationalen Pressekonferenz in Ost-Berlin am 15. Juni 1961. Die Journalistin Annamarie Doherr von der Frankfurter Rundschau hatte damals die Frage gestellt:
„Ich möchte eine Zusatzfrage stellen. Doherr, Frankfurter Rundschau. Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung einer freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?"
Walter Ulbricht antwortete:
„Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Ääh, mir ist nicht bekannt, dass [eine] solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll ausgenutzt, ääh, eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."
„Zwei Monate später, am Sonntag, den 13. August 1961, begannen nachts gegen 1 Uhr Streitkräfte der DDR, die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin, sowie der zwischen West-Berlin und der DDR auf ihrer vollen Länge (nahezu 170 km) praktisch lückenlos und zur gleichen Zeit mit einem gewaltigen Aufwand an Menschen und Material abzuriegeln und Sperranlagen zu errichten.“
Der Autor dieses Artikels wurde an diesem Tag in der Spandauer Nikolai-Kirche getauft. Er bekam von dem Geschehen naturgemäß nichts mit. Doch seiner Tante, die im Bezirk Prenzlauer Berg lebte, war es nicht mehr möglich, an der Taufe teilzunehmen.
Die Teilung der Stadt war vollzogen.
Im Westteil der Stadt wurde die Berlinzulage (auch verballhornt Mauerprämie genannt) eingeführt. Drei Tage mehr Urlaub, als der Rest West-Deutschlands, für West-Berliner, sollte die längere Reisezeit durch die Zone kompensieren.
Teil 3 des Ezählcafés mit Werner Salomon am 11. Mai zum Thema Mauerfall
Wie schon beim ersten Erzählcafé gab es einen regen Austausch an Fragen zum Thema. Nur wenige haben diese Zeit noch bewusst erlebt. Neugierig, mehr darüber zu erfahren, waren aber alle. Das Erzählcafé hat mit dem Geschäftsführer der Stiftung Luftbrückendank Heinz-Gerd Reese zum Thema Luftbrücke und Pfarrer i. R. Augustat zwei sehr unterschiedliche und genau deswegen höchst spannende Protagonisten gehabt.
Darum dürfen wir auch neugierig sein, wenn am 11. Mai um 18.00 Uhr Spandaus Bürgermeister a.D. Werner Salomon mit dem Thema "Spandau in der Zeit der Maueröffnung" die dritte Runde einleitet, bevor am 22. Juni um 18.00 Uhr der amtierende Spandauer Bürgermeister Helmut Kleebank mit einem Vortrag zur Gegenwart und Zukunft Spandaus im Erzählcafé zu Gast sein wird.
Ich persönlich bin schon jetzt sehr neugierig, was uns dann in der 5. Runde und danach erwartet.
Ralf Salecker